Buch 2023

3. Arts and Health: Österreich

3.1. Grundlagen des Gesundheitssystems in Österreich

Ein fragmentiertes Bild

Edith Wolf Perez 

Die österreichische Gesundheitspolitik ist auf viele Akteure zersplittert. Die Reformbemühungen der letzten Jahre haben versucht, eine bessere Koordination der Zuständigkeiten zu erreichen. Die Formulierung der 10 Gesundheitsziele, die Einführung von Primärversorgungszentren und ab 2020 die Pilotierung von Social Prescribing sind Entwicklungen, von denen „Arts for Health“-Initiativen profitieren könnten.

 

3.2. Social Prescribing

Gedanken zur Umsetzung in Österreich

Christoph Redelsteiner 

Das Konzept des “Social Prescribing” wurde in Österreich erstmals in einer Pilotphase von Juni bis Dezember 2021 umgesetzt. Die Wiederentdeckung und Stärkung des damit verbundenen biopsychosozialen Gesundheitsmodells ist zu begrüßen.

Zentral für den Ansatz des “Social Prescribing” ist die konsequente Ausrichtung auf gesundheitsfördernde Aktivitäten und die dialogische Suche nach den Stärken und Interessen der Menschen – die dadurch die Möglichkeit haben, von der Patientenrolle in eine Nutzerrolle auf Augenhöhe zu wechseln.

Das Angebot ist breit gefächert: Kunst und Kultur, Weiterbildung, Sport, Bewegung, Freizeit, Natur, Ernährung und soziale Aktivitäten sind für “Social Prescribing” gleichermaßen geeignet. Auf Seiten der Link-Workerinnen erfordert dies die Bereitschaft, Pathologisierungen abzubauen und sich stärker an salutogenetischen Aspekten zu orientieren. Was hält Menschen gesund? Es erfordert u.a. eine Ausbildung und Übung in der Gesprächsführung und eine umfassende Kenntnis der lokalen und regionalen Netzwerke.

 

3.3. Arts for Health – auf Rezept?

Ein Kommentar aus Sicht eines Juristen

Johannes Gregoritsch 

Als Jurist bin ich es gewohnt, zu prüfen, ob es Rechtsansprüche des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft (= rechtlich dem Staat) gibt. Ein Beispiel dafür ist das Recht auf Gesundheitsversorgung für Menschen, die nach dem Recht auf Gesundheitsversorgung versichert sind und in Österreich der Sozialversicherung unterliegen. Wenn solche individuell einklagbaren Ansprüche nicht bestehen, gibt es noch den weiten Bereich eines “weichen” Rechts, das unter Umständen auch zusätzliche Aufgaben des öffentlichen Sektors definieren kann. Ein Beispiel für diesen zweiten Bereich wäre die Kunstförderung, auf die es keinen individuellen Rechtsanspruch gibt.

Auch auf präventive und gesundheitsfördernde Leistungen gibt es grundsätzlich keinen Anspruch. Allerdings sind die Krankenkassen bereits aufgefordert, in diesem Bereich tätig zu werden. Damit besteht theoretisch die Möglichkeit, dass Anbieter von nachweislich wirksamen kulturellen Maßnahmen mit der öffentlichen Hand “ins Geschäft kommen”. Ein wegweisendes Beispiel für eine engere Zusammenarbeit von Gesundheit mit Kunst und Kultur scheint das Projekt “Aufatmen, ein Atem- und Musikprogramm für Menschen mit Long Covid” zu sein.

 

3.4. Kulturpolitische Prioritäten

Von der klassischen Kulturförderung zu nachhaltigen Konzepten

Anke Simone Schad-Spindler 

Die Kulturpolitik in Österreich bezieht sich vor allem auf die Pflege, Entwicklung und Verbreitung der Künste, die künstlerische Ausbildung (Universitäten) sowie den Schutz und die Erhaltung des kulturellen Erbes. Die Kulturförderung ist auf Bundes- und Landesebene gesetzlich geregelt. Das Bundeskunstförderungsgesetz legt fest, dass die Förderung vor allem auf die zeitgenössische Kunst, ihren geistigen Wandel und ihre Vielfalt zu richten ist und nennt die Bereiche, die durch die Herstellung, Präsentation, Verbreitung und Erhaltung von Werken und Dokumenten zu unterstützen sind.

Die landesweite Organisation der Kulturpolitik und -verwaltung sieht unterschiedliche regionale Schwerpunkte vor. Explizite Kulturentwicklungskonzepte mit zivilgesellschaftlicher Beteiligung werden seit Anfang der 2000er Jahre auf der Ebene der Bundesländer und Städte realisiert. Auch wenn Schnittstellen zu Bereichen wie Bildung, Wissenschaft und Soziales bewusst genannt werden, ist der Wunsch nach verstärkter Zusammenarbeit in Querschnittsfragen aufgrund der rechtlichen Grundlagen nicht einfach umzusetzen.

 

3.5. Musiktherapie

Definition und Gesetzeslage in Österreich

Oliver Peter Graber 

In Österreich ist als einziges Land weltweit die Musiktherapie (einschließlich des Ausbildungsweges) gesetzlich geregelt (MuthG, gültig seit 2009). Andere Kunsttherapien sind in diesem Gesetz nicht enthalten. Im Rahmen von Arts for Health ist es daher wesentlich, die geltenden Regelungen zu berücksichtigen und Musikprojekte entsprechend zu differenzieren.

 

3.6. Arts and Health für Kinder und Jugendliche

Fokus: Kompetenzerweiterung

Gudrun Schweigkofler Wienerberger 

Partizipative künstlerische Prozesse für und mit der Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen werden in unterschiedlichen Formaten und Settings angeboten, durchgeführt und ausgewertet. Selten steht die Förderung der Gesundheit im Vordergrund. Meistens geht es um Kompetenzerweiterung im individuellen, sozialen und/oder gesellschaftlichen Bereich, um Wohlbefinden als Ausdruck von Freude oder um körperliche Aktivität im Kontext von Sport und Bewegung.

Der Fokus liegt auf der Gesundheitskompetenz von Kindern und Jugendlichen in Österreich. Den Blick auf die Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden durch künstlerische Interventionen zu erweitern und über die positiven Einflüsse künstlerischer Prozesse nachzudenken, wäre nur ein kleiner weiterer Schritt.

 

3.7. Kunst trifft Wissenschaft

Von STEM zu STEAM

Airan Berg 

Obwohl der Schwerpunkt dieses Buches auf der Praxis und Forschung im Bereich Kunst und Gesundheit liegt, sollte auch darauf hingewiesen werden, dass die gesellschaftliche Bedeutung von Kunst und Kultur über den Gesundheits- und Sozialbereich hinausgeht. Die aktuelle Debatte um die Erweiterung von STEM zu STEAM (Science-Technology-Engineering-Arts-Mathematics) verdeutlicht die Relevanz der Künste für ein breiteres Spektrum an wissenschaftlichen Disziplinen.

Mit dem STARTS-Preis setzt die Europäische Kommission ein wegweisendes Signal zur Förderung von Allianzen zwischen Technologie und künstlerischer Praxis. Auch in Österreich hat man diesen Trend erkannt und den “Zirkus des Wissens” an der Johannes Kepler Universität als wesentlichen Bestandteil einer zukunftsorientierten und nachhaltigen humanistischen Bildung etabliert.

 

3.8. Policy-Empfehlungen

Von gegenseitigem Nutzen für Kunst, Gesundheit und Sozialwesen

Die Redaktion 

Die politischen Vorschläge für die Implementierung von Kunst und Kultur im österreichischen Sozial- und Gesundheitssystem basieren auf den Überlegungen des WHO-Berichts über die Rolle von Kunst und Kultur für Gesundheit und Wohlbefinden sowie auf den Beispielen der in diesem Buch vorgestellten Länder. Sie sind erste Anregungen für einen breiteren Diskurs zur Schaffung von sinnvollen Synergien mehrerer Grundsysteme – des Gesundheits-, des Sozial- und des Kunstsektors – hin zu einer nachhaltigen Grundlage für Gesundheit und Wohlbefinden der in Österreich lebenden Menschen.

Ziel ist es, die zunehmende Evidenz und den Mehrwert von künstlerischer und kultureller Teilhabe für die Gesundheit zu erkennen, Kunst als Querschnittsthema anzuerkennen und Strukturen auf- bzw. auszubauen. Weiters werden strategische Maßnahmen zur Politikentwicklung, Bewusstseinsbildung, Vernetzung, Aus- und Weiterbildung, Projektfinanzierung, Forschung und Evaluierung formuliert.